Stellen Sie sich vor, Sie sind Arbeitgeber und eine Mitarbeiterin kehrt nach dem Ende ihres Urlaubs nicht an ihren Arbeitsplatz zurück. Nach über zwei Wochen fragen Sie nach und wenige Tage später erhalten Sie vom Sozialdienst eines Krankenhauses eine Mail, in der Ihnen mitgeteilt wird, dass sich die Mitarbeiterin seit dem 18.07.2020 (dies war der Tag unmittelbar nach dem Ende des Urlaubs der Mitarbeiterin) in stationärer Behandlung befinde und „voll arbeitsunfähig“ sei;
ein Entlassungsdatum stehe noch nicht fest, eine Aufenthaltsbescheinigung sei auf dem Postweg unterwegs. Tags darauf kündigen Sie das Arbeitsverhältnis „außerordentlich aus wichtigem Grund fristlos“ aufgrund gravierender Pflichtverletzungen und stellen jegliche Zahlungen ein. Ist diese Kündigung wirksam? – Nein, so das LArbG Berlin-Brandenburg1 in einer aktuellen Entscheidung. Denn die Klägerin befand sich in stationärer Behandlung und war damit arbeitsunfähig. Ein arbeitsunfähiger Mensch fehlt jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht unentschuldigt, egal, ob er diese Arbeitsunfähigkeit anzeigt oder nachweist. Spätestens seit der E-Mail des Krankenhauses war der Arbeitgeber auch über die Arbeitsunfähigkeit informiert, weshalb ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht des Entgeltfortzahlungsgesetzes im Kündigungszeitpunkt nicht mehr vorlag. Auch bei einer Anzeigepflichtverletzung, die sich über mehrere Wochen hinzieht, handelt es sich um eine auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers beruhende Vertragspflichtverletzung, weshalb der Kündigung zuvor eine Abmahnung hätte vorausgehen müssen. Aufgrund der Ankündigung des Krankenhauses, dass eine Aufenthaltsbescheinigung per Post unterwegs sei, dürfte der Arbeitgeber auch nicht mehr von einer fortgesetzten Verletzung der Nachweispflicht ausgehen. Der Ausspruch einer fristlosen Kündigung war daher keine angemessene Sanktion für das Fehlverhalten der Klägerin.
Stellt daher der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit nicht infrage, sondern stört sich nur daran, dass er vom Arbeitnehmer nicht über die Arbeitsunfähigkeit informiert wurde, muss er grundsätzlich zunächst eine Abmahnung aussprechen, bevor er überhaupt eine Kündigung in Betracht ziehen kann.
- LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.07.2023 – 10 Sa 625/23. ↩︎