Eine spannende Frage hat vor wenigen Tagen das BAG1 geklärt. Denn die der Entscheidung des BAG zugrunde liegende Fallkonstellation kommt in der Praxis gar nicht einmal so selten vor. Hin und wieder versuchen nämlich Arbeitgeber nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung, ihr Annahmeverzugsrisiko dadurch zu verringern, dass sie den Arbeitnehmer wieder zur Arbeitsaufnahme auffordern.

Da der Ausspruch einer fristlosen Kündigung jedoch auf der Ansicht des Arbeitgebers beruht, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, erscheint die Arbeitsaufforderung des Arbeitgebers unter diesem Gesichtspunkt zumindest widersprüchlich. Dies hat das BAG ähnlich gesehen und gemeint, dass in einem solchen Fall zunächst einmal eine tatsächliche Vermutung dafür spreche, dass das Beschäftigungsangebot des Arbeitgebers nicht ernst gemeint gewesen sei. Diese Vermutung könne der Arbeitgeber jedoch durch die Begründung der Kündigung oder durch entsprechende Darlegungen bestätigen oder entkräften.

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hatte der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer unter dem Vorhalt zahlreicher Pflichtverletzungen und unter Herabwürdigung seiner Person eine fristlose Änderungskündigung ausgesprochen und ihn gleichzeitig „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung“ zum Arbeitsantritt aufgefordert. Als der Kläger das Änderungsangebot ablehnte und auch nicht zur Arbeit erschien, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich, und forderte ihn wiederum zum Arbeitsantritt auf. Der Kläger erschien auch dieses Mal nicht zur Arbeit und gewann letztlich den Kündigungsschutzprozess.

Den Annahmeverzugslohn wollte der Arbeitgeber daraufhin jedoch nicht zahlen. Der Kläger war der Ansicht, eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu geänderten oder auch zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen sei ihm angesichts der schweren Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person nicht zuzumuten gewesen; zudem sei er nicht von einem ernsthaften Angebot ausgegangen. Der Arbeitgeber berief sich auf den gestellten Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht stellten sich zunächst auf die Seite des Arbeitgebers mit der Begründung, ein Annahmeverzugslohnanspruch bestehe nicht, weil der Kläger nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB gewesen sei.

Das BAG hat nun dankenswerterweise Klarheit geschaffen und bejahte einen Anspruch des Klägers auf Annahmeverzugslohn. Wenn ein Arbeitgeber im Zuge einer fristlosen Kündigung selbst davon ausgeht, die Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers sei ihm nicht zuzumuten, verhalte er sich widersprüchlich. Daher spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass dem Arbeitnehmer kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitet werden sollte. Lehne der Arbeitnehmer deshalb ein solches Angebot ab, fehle ihm nicht der Leistungswille. Allenfalls müsse sich der Arbeitnehmer nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen. Aber selbst dies kam vorliegend nicht in Betracht, da dem Kläger aufgrund der erhobenen ehrenrührigen Vorwürfe eine Prozessbeschäftigung nicht zuzumuten war. Auch sein vorläufiger Weiterbeschäftigungsantrag, gerichtet auf Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen, stand dem nicht entgegen. Denn es macht nach Ansicht des BAG einen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer trotz gravierender Vorwürfe bis zur erstinstanzlichen Entscheidung weiter arbeiten soll oder ob er nach Obsiegen in der ersten Instanz quasi „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann. Der Weiterbeschäftigungsantrag richtet sich nämlich auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung.

Die Entscheidung des BAG ist in vielerlei Hinsicht zu begrüßen, denn sie setzt denjenigen Arbeitgebern Grenzen, die mittels eines meist halbherzigen Arbeitsangebots die gekündigten Arbeitnehmer unter Druck zu setzen versuchen. Andererseits befreit sie Arbeitnehmer, die nach einer fristlosen Kündigung einen vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt haben, von der Last, mögliche – meist widersprüchliche – Beschäftigungsangebote des Arbeitgebers vor einer erstinstanzlichen Entscheidung annehmen zu müssen. Auch der Aspekt der Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes ist in Fällen wie dem Vorliegenden stets im Blick zu halten. Hier sind Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die vom jeweiligen Einzelfall abhängen. Im vom BAG zu entscheidenden Fall waren die Vorwürfe des Arbeitgebers so gravierend und herabwürdigend, dass eine Prozessbeschäftigung nicht zumutbar war.

Fußnoten

  1. BAG, Urt. v. 29.03.2023 – 5 AZR 255/22; Vorinstanz: LArbG Chemnitz, Urt. v. 01.11.2021 – 1 Sa 330/20. ↩︎