Stellt sich ein arbeitsrechtliches (oder sonstiges) Problem, wird recht schnell das Internet zurate gezogen. Das ist zwar praktisch, doch Dr. Google ist meist kein zuverlässiger Berater. Und wie sieht es mit Rechtsauskünften von Betriebsräten aus? Betriebsratsmitglieder sind in der Regel ordentlich geschult und kontinuierlich fortgebildet. Und über grundsätzliche und nahezu alltägliche Rechtsfragen des individuellen Arbeitsrechts sollten sie ja eigentlich informiert sein, oder? Hiervon ging jedenfalls ein Arbeitnehmer in einem vom LArbG Hamm1 zu entscheidenden Fall aus.

Nachdem dem Kläger am 29.10.2020 die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zuging, setzte er sich am 30.10.2020 mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats in Verbindung. Dieser informierte ihn sodann darüber, dass der Betriebsrat am 28.10.2020 per E-Mail über die Kündigung in Kenntnis gesetzt worden sei, eine Betriebsratsanhörung jedoch nicht stattgefunden habe. Der Vorsitzende teilte weiter mit, dass der Betriebsrat der Kündigung widersprechen wolle und der Kläger sich daher um nichts weiter kümmern müsse; auch brauche er keine Klage einzureichen. Auf eine spätere Nachfrage beim Betriebsratsvorsitzenden ist dem Kläger sodann erklärt worden, dass der Betriebsrat alles weitere klären werde und er sich nicht kümmern müsse. Mit Schreiben vom 03.11.2020 hat der Betriebsrat sodann der Kündigung widersprochen. Nachdem der Betriebsrat sich erst am 24.11.2020 bei der späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dem weiteren Vorgehen erkundigt hatte, wurde die Kündigungsschutzklage erhoben – aber da war es schon zu spät. Die Drei-Wochen-Frist war bereits verstrichen.

Der Kläger war der Auffassung, dass die Klage nachträglich zuzulassen sei, da er sich auf die Aussage des Betriebsratsvorsitzenden habe verlassen dürfen. Er selbst habe keine Kenntnis von der Drei-Wochen-Frist gehabt, weshalb ihn kein Verschulden treffe. Sowohl das Arbeitsgericht auch das LArbG Hamm sahen keine Möglichkeit der nachträglichen Zulassung der verspäteten Klage.

Eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage kommt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG nur dann in Betracht, wenn ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Der Kläger hatte nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts sowohl nach seinem objektiven als auch subjektiven Maßstab die ihm nach Lage des Falls zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet. Der Betriebsrat oder dessen Vorsitzender waren keine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle. Eine nachträgliche Zulassung kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer sich an eine zur Erteilung von Auskünften geeignete und zuverlässige Stelle wendet und dort falsche Auskünfte erhält.2

Es gehört jedoch nicht zu den Aufgaben der Arbeitnehmervertretung, Arbeitnehmer in individualrechtlichen Angelegenheiten zu beraten oder gar hierüber Rechtsauskünfte zu erteilen. Obwohl zum Teil vertreten wird, dass Betriebsratsmitglieder in Großbetrieben unter Umständen über eine entsprechende Fachkompetenz verfügen, weshalb hier im Falle einer falschen Auskunft ggf. eine Wiedereinsetzung in Betracht zu ziehen sei,3 müsse jedoch immer anhand der Gesamtumstände geprüft werden, ob der Arbeitnehmer wirklich alles getan habe, was ihm angesichts seiner persönlichen Verhältnisse in der konkreten Situation zugemutet werden konnte. Und obwohl Arbeitnehmer oftmals als erste Reaktion auf eine Kündigung den Betriebsrat aufsuchen, ist der Betriebsrat – so das LArbG Hamm – dennoch objektiv keine geeignete Stelle zur Auskunft über die Notwendigkeit einer Kündigungsschutzklage und der hierfür einzuhaltenden Frist. Individualrechtliche Rechtsberatung gehört nun einmal nicht zum gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkatalog des Betriebsrats. Zudem habe der Kläger vorliegend auch subjektiv nicht auf die Aussagen des Betriebsratsvorsitzenden vertrauen dürfen. Denn es handelte sich um einen mittelgroßen Betrieb (80 Mitarbeiter), in dem erstmals im Jahr 2019 ein Betriebsrat gewählt wurde. Hier durfte der Kläger nicht davon ausgehen, dass die Betriebsratsmitglieder hinreichende Kenntnisse und Erfahrungen gerade in individualrechtlichen Fragen haben. Erschwerend kam sodann noch hinzu, dass der Kläger Gewerkschaftsmitglied war und deswegen auch Anspruch auf Rechtsschutz in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten gehabt hätte.

Kurz und gut: Kläger und Betriebsratsvorsitzender hatten es – nach derzeitigem Verfahrensstand – vermasselt. Der Betriebsratsvorsitzende hatte eine falsche Rechtsauskunft erteilt und der Kläger hatte auf diese vertraut. Das LArbG Hamm hat jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, ob der Betriebsrat eine zur Erteilung von Rechtsauskünften geeignete Stelle ist oder nicht. Dabei wird es wohl auch bleiben, da das Verfahren vor dem BAG mit einem Vergleich endete.4

Betriebsräten kann in einer solchen Situation nur geraten werden, sich selbst sehr kritisch zu hinterfragen, wie weit ihre Kenntnisse bei individualrechtlichen Fragen tatsächlich reichen. Denn für den betroffenen Arbeitnehmer hängen von solchen Auskünften in der Regel weitreichende Entscheidungen ab. Im Zweifel sollten Betriebsratsmitglieder den betroffenen Arbeitnehmer schnellstmöglich an einen Rechtsanwalt oder ggf. an die Gewerkschaft verweisen. Ein Fehler des Betriebsrats kann nämlich den Arbeitnehmer viel Geld kosten und den Betriebsrat in einem schlechten Licht dastehen lassen.

Fußnoten

1) LArbG Hamm, Urt. v. 11.01.2022 – 14 Sa 938/21.

2) LArbG Nürnberg, Urt. v. 06.03.2015 – 5 Sa 259/14 Rn. 35: LArbG Köln, Beschl. v. 18.08.2006 – 9 Ta 272/06 Rn. 24; LArbG Köln, Beschl. v. 15.04.2005 – 10 Ta 309/04 Rn. 13; Kiel in: ErfKomm, 22. Aufl. 2022, § 5 KSchG Rn. 17; Schmitt in: HK-Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, § 5 KSchG Rn. 24

3) LArbG Chemnitz, Beschl. v. 27.07.1998 – 6 Ta 273/97 Rn. 26; LArbG Stuttgart, Beschl. v. 03.04.1998 – 9 Ta 39/97 Rn. 6; Friedrich in: KR, 10. Aufl. 2013, § 5 KSchG Rn. 45; Schmitt in: HK-Arbeitsrecht, § 5 KSchG Rn. 29.

4) Az. des BAG: 2 AZR 87/22.

(AnwZert ArbR 2022)