Manche Arbeitgeber unterschätzen die Bedeutung der Schwerbehindertenvertretung. Vor dem Ausspruch einer Kündigung geht der Blick des Arbeitgebers in der Regel zunächst zum Betriebs- bzw. Personalrat; die Schwerbehindertenvertretung wird bisweilen nur als Anhängsel betrachtet.
Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung jedoch in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr sodann die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Wie hat die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung also zu erfolgen?
Jedenfalls nicht so, wie es die beklagte Stadt in dem vom LArbG Rostock1 zu entscheidenden Fall getan hat. Diese hat nämlich beim Personalrat die Zustimmung zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin mit Schreiben vom 08.02.2022 beantragt. Sie teilte darin dem Personalrat die Sozialdaten der Klägerin, deren Kündigungsfrist sowie die Begründung für die Kündigung mit. Dieses Schreiben an den Personalrat übersandte die Beklagte sodann an die Schwerbehindertenvertretung mit folgendem Anschreiben, ebenfalls vom 08.02.2022:
„Ihre Mitbestimmung gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 2 Personalvertretungsgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 1993
Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung von Frau …, Vorzimmerkraft im Amt für Mobilität innerhalb der Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Monatsschluss
Sehr geehrter Herr J.,
als Anlage erhalten Sie eine Kopie des Schreibens an den Personalrat der Stadtverwaltung.
Mit freundlichen Grüßen“
Der Personalrat stimmte der Kündigung in seiner Sitzung am 16.02.2022, an der auch der Schwerbehindertenvertreter teilnahm, nicht zu. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich mit Schreiben vom 21.02.2022. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und trug u.a. vor, dass die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt habe. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht teilten die Meinung der Klägerin. Vorliegend habe die beklagte Stadt die Schwerbehindertenvertretung lediglich informiert. Dem Schreiben an die Schwerbehindertenvertretung lasse sich nicht entnehmen, dass ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung gegeben wurde und ein eigenständiges Beteiligungsverfahren eingeleitet werden sollte. Denn letztlich habe die Beklagte mit Ihrem Schreiben nicht die Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung beantragt, sondern lediglich auf ihren entsprechenden Antrag gegenüber dem Personalrat verwiesen. Dies stelle einen Verstoß gegen § 178 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGB IX dar, weshalb die Kündigung unwirksam sei. Denn der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Kündigung nicht zu unterrichten, sondern anzuhören. Dies stelle einen großen Unterschied dar. Unterrichten bedeute lediglich, dass Informationen über einen bestimmten Sachverhalt zugeleitet werden. Anhören heiße jedoch, „einem anderen zuzuhören und dessen Erklärung, sei sie schriftlich oder mündlich, Aufmerksamkeit zu schenken.“2
Nach Ansicht des BAG3 ist es jedoch so, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nicht nur ausreichend unterrichten, sondern ihr auch genügend Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss. Hier gelten die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG. Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Gesetz seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge – so das BAG – eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen. Eine entsprechende Anwendung der Fristenregelungen in dem ggf. einschlägigen Personalvertretungsgesetz kommt nicht in Betracht. Die Schwerbehindertenvertretung hat somit ihre möglicherweise bestehenden Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche, und gegen eine außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, mitzuteilen. Hat der Arbeitgeber seine Kündigungsentscheidung getroffen, hat er diese der Schwerbehindertenvertretung unverzüglich mitzuteilen, § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB IX.
Diese Anhörung ist in dem vom LArbG Rostock zu entscheidenden Fall gegenüber der Schwerbehindertenvertretung nicht erfolgt. Die Kündigung war daher nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam. Die betroffene Arbeitnehmerin musste dennoch innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erheben, um das Wirksamwerden der Kündigung nach § 7 KSchG zu verhindern. Arbeitgebern droht bei unterlassener, nicht richtiger, nicht vollständiger oder nicht rechtzeitiger Unterrichtung oder unterlassener oder nicht rechtzeitiger Anhörung nach § 238 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 SGB IX eine Geldbuße bis zu zehntausend Euro.