Zwischen dem 01.03. und dem 31.05.2018 haben wieder die Betriebsratswahlen stattgefunden. Dies bedeutet, dass sich die erstmals in den Betriebsrat gewählten Arbeitnehmer mit der komplizierten Materie des kollektiven Arbeitsrechts auseinandersetzen müssen, indem sie rechtliche Probleme erkennen und einer praktikablen Lösung zuführen sollen. Gerade die „alten Hasen“ im Betriebsrat wissen nur zu gut, dass sie trotz langjähriger Gremiumserfahrung und zahlreicher Schulungen immer wieder mit neuen Herausforderungen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragestellungen konfrontiert werden. Bei beiden Arbeitnehmergruppen – den erfahrenen sowie den neuen Mitgliedern des Betriebsrats – ist daher in gleicher Weise die Vermittlung von Kenntnissen unerlässlich, sei es in Form von Einführungen in spezielle Themenbereiche, in denen ihnen ein Überblick über die Materie verschafft wird, sei es in Form von Weiterbildungsveranstaltungen, die – bei vorhandenen Grundkenntnissen – über Gesetzesänderungen und Rechtsprechungsentwicklungen informieren. Die Erforderlichkeit solcher Schulungsveranstaltungen stellt eine nicht enden wollende Quelle der Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat dar.
In der gleichen Situation befinden sich auch die erstmals berufenen Mitglieder des Wahlvorstands, der die Betriebsratswahl einzuleiten, durchzuführen und das Wahlergebnis festzustellen hat, § 18 BetrVG. Die Mitglieder des Wahlvorstands sehen sich mit einer Fülle von Wahlvorschriften konfrontiert. Jeder, der schon einmal einen Blick in die Wahlordnung geworfen und sich die im Betriebsverfassungsgesetz hierzu enthaltenen Vorschriften angeschaut hat, weiß, dass Schulungsveranstaltungen zur ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung einer Betriebsratswahl unerlässlich sind.
Dies dachte sich auch der Wahlvorstand eines Arbeitgebers, der eine Kette von Einzelhandelsgeschäften betreibt. Am 14.03.2018 beschloss nämlich dieser Wahlvorstand, alle seine Mitglieder und Ersatzmitglieder zur Schulungsveranstaltung „Damit alles stimmt – Wahlvorstandsschulung (normales Wahlverfahren)“ des Veranstalters A am 28.03.2018 zu entsenden. Es handelte sich um eine Inhouse-Schulung, deren Kosten bei 2.080 Euro lagen zuzüglich Verpflegungskosten pro Teilnehmer i.H.v. 29,75 Euro sowie ggf. anfallender Raum- und Technikkosten. Der Arbeitgeber war mit der Teilnahme der Mitglieder und Ersatzmitglieder des Wahlvorstands nicht einverstanden.
Der Wahlvorstand sowie die Mitglieder des Wahlvorstands als Beteiligte zu 2 bis 4 sowie die Ersatzmitglieder des Wahlvorstands als Beteiligte zu 5 und 6 beantragten daher den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Freistellung der Wahlvorstands- und Ersatzmitglieder für die Teilnahme an der genannten Schulung sowie die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Kostentragung.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Erlass der einseitigen Verfügung mit der Begründung zurückgewiesen, die Antragsteller hätten die bestehende Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt. Der Termin der regulär anstehenden Betriebsratswahlen sei seit Jahren bekannt gewesen und der Wahlvorstand habe es schlicht unterlassen, sich mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf um eine entsprechende Schulung zu bemühen. Ihre eingelegte Beschwerde begründeten die Antragsteller damit, dass die Schulungsteilnahme nicht deshalb zu einem früheren Zeitpunkt habe geplant werden können, weil die Vorsitzende des Wahlvorstands in den Kalenderwochen 4 bis 5 sowie 7 bis 9 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und in der gesamten 6. Kalenderwoche mit Gesamtbetriebsratstätigkeiten beschäftigt gewesen sei. Der Arbeitgeber hielt die Erkrankung der Vorsitzenden für unerheblich, denn die Organisation einer Schulung hätte durch andere Betriebsratsmitglieder bereits im Jahr 2017 übernommen werden können.
Das LArbG Frankfurt bejahte den erforderlichen Verfügungsgrund.1 Trotz der mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung verbundenen Vorwegnahme der Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei das Interesse des Betriebsrats darin zu sehen, dass die Schulung zeitnah und nicht erst nach Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nach vielleicht 12 oder 18 Monaten stattfindet. Es bestehe vielmehr die Gefahr, dass die zur Schulung entsandten Mitglieder für die Dauer der Schulung keine Vergütung erhalten. Dem Interesse des Arbeitgebers, dass durch die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung keine endgültigen und irreparablen Zustände geschaffen werden, werde durch die dem Arbeitgeber gewährte Anhörung entgegengewirkt.
Die Antragsteller hatten nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Eilbedürftigkeit auch nicht mutwillig selbst herbeigeführt. Denn entscheidend sei allein, ob der Wahlvorstand hinsichtlich der konkret begehrten Schulungsteilnahme zu lange zugewartet und damit die Eilbedürftigkeit widerlegt habe. Tatsächlich entstand das Regelungsbedürfnis für den Wahlvorstand jedoch erst durch die Ablehnung des Arbeitgebers für die konkrete Schulungsmaßnahme am 28.03.2018. Davor war der Wahlvorstand nicht beschwert. Unerheblich sei hierbei auch die Frage, ob der Wahlvorstand die Schulung schon hätte Monate vorher planen können.
Auch hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der Veranstaltung bejahte das LArbG Frankfurt einen Verfügungsgrund. Erforderlich ist in einem solchen Fall jedoch stets, dass die betreffenden Mitglieder glaubhaft machen, dass sie die Schulungskosten nicht selbst verauslagen können.2 Dies haben vorliegend alle Beteiligten zu 2 bis 6 durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht.
Im Hinblick auf die Freistellung der Beteiligten zu 2 bis 6 von der Arbeitspflicht zur Teilnahme an der Schulung hat das LArbG Frankfurt sodann den erforderlichen Verfügungsanspruch bejaht. § 20 Abs. 3 Satz 2 BetrVG sieht nämlich vor, dass die Versäumnis von Arbeitszeit, die zur Betätigung im Wahlvorstand erforderlich ist, den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts berechtigt. Es stellte sich somit die Frage, ob die Schulungsteilnahme erforderlich war.
Hierzu sagt das LArbG Frankfurt: „Die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung über die Wahlvorschriften des BetrVG und der Wahlordnung ist allein am konkreten Wissenstand des einzelnen Vorstandsmitglieds im Hinblick auf die zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratswahl notwendigen Kenntnisse zu messen.“3 Bei erstmals berufenen Wahlvorstandsmitgliedern sei jedoch – ebenso wie bei neuen Betriebsratsmitgliedern – im Regelfall die Erforderlichkeit der Vermittlung von Kenntnissen über die Wahlvorschriften zu bejahen. Eine gesonderte Darlegung durch den Wahlvorstand müsse nicht erfolgen.4 Vielmehr habe der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass das erstmals berufene Wahlvorstandsmitglied bereits über ausreichende Kenntnisse verfüge oder entsprechende Kenntnisse bei den übrigen Wahlvorstandsmitgliedern vorhanden seien, die eine Schulung des betreffenden Wahlvorstandsmitglieds obsolet machen.
In dem vom LArbG Frankfurt zu entscheidenden Fall war unter diesen Gesichtspunkten lediglich die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme einer einzigen Beteiligten streitig, da diese bereits als Vorsitzende des Wahlvorstands im Jahr 2011 an entsprechenden Schulungen teilgenommen hatte (eine zweite Schulung im Jahr 2014 war streitig). Das Landesarbeitsgericht hielt jedoch auch in diesem Fall die erneute Schulung für erforderlich, da damals das für die Durchführung einer Betriebsratswahl erforderliche Wissen nur punktuell benötigt und danach bis zur nächsten Betriebsratswahl nicht mehr gebraucht wurde. Dies führe erfahrungsgemäß dazu, dass das Wissen schneller in Vergessenheit gerate. Zudem handle es sich vorliegend um eine Inhouse-Schulung, die für alle Teilnehmer zusammen 2.080 Euro koste. Die Kostenbelastung des Arbeitgebers durch eine erneute Schulungsteilnahme der Beteiligten verringere sich daher nicht, selbst wenn diese nicht an der Schulung teilnehme. Die zusätzlich anfallende Verpflegungspauschale von 29,75 Euro fällt vor diesem Hintergrund nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht entscheidend ins Gewicht.
Die Freistellung von den Schulungskosten konnte der Wahlvorstand jedoch vor dem Besuch der Schulungsveranstaltung nicht vom Arbeitgeber verlangen. Denn der Anspruch aus § 20 Abs. 3 BetrVG war zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht entstanden, wobei auch ein Anspruch auf vorschussweise Freistellung vorliegend nicht besteht. Dass der Veranstalter die Schulung von der Leistung eines Vorschusses abhängig gemacht hätte, wurde nicht vorgetragen. Im vorliegenden Fall konnte der Wahlvorstand im Wege der einstweiligen Verfügung jedoch zumindest von seiner Arbeitspflicht freigestellt werden. Die Kosten muss der Wahlvorstand zu einem späteren Zeitpunkt vom Arbeitgeber verlangen.
Übrigens: Auch für die erstmals in den Betriebsrat gewählten Betriebsratsmitglieder kann – ebenso wie bei Wahlvorstandsmitgliedern – eine Einführung in das Betriebsverfassungsgesetz auf einer Schulungsveranstaltung als erforderlich i.S.d. § 37 Abs. 6 BetrVG angesehen werden, ohne dass es der näheren Darlegung der Erforderlichkeit bedarf – so bereits das BAG in einer 40 Jahre alten Entscheidung.5
Gerne wird in diesem Zusammenhang von Arbeitgebern auch darauf hingewiesen, dass es an der Eilbedürftigkeit bereits deswegen fehle, weil vom betreffenden oder anderen Schulungsveranstaltern eine entsprechende Veranstaltung mehrmals jährlich an verschiedenen Orten inhaltsgleich durchgeführt werde. Dieses Argument will das LArbG Frankfurt im vorliegenden Fall jedoch nicht gelten lassen. Denn dieses Argument könne praktisch bei jeder Schulungsveranstaltung vorgebracht werden, was dann letztlich zur Vereitelung des Schulungsanspruchs führe.6
Fußnoten
1) LArbG Frankfurt, Beschl. v. 26.03.2018 – 16 TaBVGa 57/18.
2) LArbG Frankfurt, Beschl. v. 04.11.2013 – 16 TaBVGa 179/13 Rn. 19.
3) LArbG Frankfurt, Beschl. v. 26.03.2018 – 16 TaBVGa 57/18 Rn. 27.
4) BAG, Urt. v. 07.06.1984 – 6 AZR 3/82.
5) BAG, Beschl. v. 21.11.1978 – 6 ABR 10/77.
6) LArbG Frankfurt, Beschl. v. 04.11.2013 – 16 TaBVGa 179/13 Rn. 18.
Erschienen im: AnwZert ArbR 12/2018 Anm. 1