Ab wann greift der Sonderkündigungsschutz des § 9 MuSchG (seit dem 01.01.2018 § 17 MuSchG) und welche Bedeutung hat diesbezüglich § 4 Satz 4 KSchG? Diese Fragen erlangen – sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmerin – selbst dann erhebliche Bedeutung, wenn noch nicht gewiss ist, ob tatsächlich eine Schwangerschaft vorliegt und die Arbeitnehmerin lediglich eine diesbezügliche Vermutung geäußert hat.

In einem vom LArbG Berlin-Brandenburg1 zu entscheidenden Fall hatte die Klägerin am 14.12.2016 ihrer Arbeitgeberin mitgeteilt: Hallo Ihr Lieben, ich fühle mich noch nicht wirklich gut, sodass ich nicht kommen kann. Ihr fragt euch bestimmt, ob ich schwanger bin. Das kann ich selbst nicht ganz beantworten. Habe auch keine Arbeitgeberbescheinigung o.ä. bekommen. Geplant war das auch nicht, wir haben gerade den Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben, Baubeginn ist im Frühjahr 2017. Es sieht momentan so aus, als wäre eine Fruchthöhle da… mehr kann ich euch nicht sagen! Zudem kamen durch den Sturz noch einige Komplikationen. Ich hoffe ihr wisst die Offenheit zu schätzen.“

Unter dem 19.12.2016 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis. Am 28.12.2016 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie schwanger sei. Auf ihre weitere Mitteilung, dass sie so schnell wie möglich wieder zur Arbeit erscheinen wolle, erklärte der Geschäftsführer der Beklagten mit E-Mail vom 05.01.2017, dass der Arbeitsvertrag zum 31.01.2017 aufgelöst sei. Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam und übersandte der Beklagten die Bestätigung über ihre Schwangerschaft. Am 23.01.2017 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und trug vor, sie habe eine schriftliche Kündigung der Beklagten nicht erhalten. Das Arbeitsgericht erhob hinsichtlich des Zugangs der Kündigung Beweis durch Vernehmung des Ehemanns der Klägerin, ging jedoch davon aus, dass die Klägerin die durch den Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg der Deutschen Post bestehenden Beweis des ersten Anscheins nicht hinreichend habe erschüttern können. Hiernach sei die Kündigung der Beklagten der Klägerin am 20.12.2016 zugegangen, weshalb die Kündigungsschutzklage innerhalb der Klagefrist von drei Wochen bis zum 10.01.2017 beim Arbeitsgericht hätte eingehen müssen. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts war § 4 Satz 4 KSchG nicht zu berücksichtigen, da die E-Mail der Klägerin vom 14.12.2016 so zu verstehen gewesen sei, dass möglicherweise eine Schwangerschaft bestehe; eine positive sichere Kenntnis der Beklagten sei jedoch damit nicht verbunden gewesen.

Die Berufung der Klägerin hielt das LArbG Berlin-Brandenburg für begründet. Denn auch, wenn die Beklagte keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft der Klägerin hatte, war die Klägerin zum Kündigungszeitpunkt dennoch unstreitig schwanger und hatte ihr diese vermutete Schwangerschaft auch mitgeteilt. Auch die Anzeige einer nur vermuteten Schwangerschaft sei nämlich ausreichend, um den Sonderkündigungsschutz des § 9 MuSchG (seit dem 01.01.2018 § 17 MuSchG) auszulösen. Voraussetzung ist lediglich, dass zum Kündigungszeitpunkt tatsächlich eine Schwangerschaft besteht.2

Nicht erforderlich ist, dass aus der Mitteilung der Arbeitnehmerin hervorgehen muss, dass sie sich auf den besonderen Kündigungsschutz berufe. Dieser greift vielmehr kraft Gesetzes ein. Die Mitteilung der Arbeitnehmerin muss daher dem Arbeitgeber keine sichere Kenntnis von der Schwangerschaft vermitteln. Vielmehr sind im Interesse der Effektivität des Mutterschutzes solche Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit des Arbeitgebers hinzunehmen. Denn eine solche besondere Ungewissheit, wie sie für die beginnende Schwangerschaft typisch ist, lässt sich nur schwer vermeiden.

Ausreichend ist vielmehr, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber eine ihm noch nicht bekannte Schwangerschaft anzeigt oder ihm mitteilt, dass sie zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vermutlich schwanger gewesen sei. Die Vorlage eines sofortigen Nachweises ist hierfür nicht erforderlich. Bereits im Jahr 1974 hat das BAG hierzu festgestellt, dass der besondere Kündigungsschutz schon durch eine nur vorsorgliche Mitteilung der Arbeitnehmerin, sie sei vermutlich schwanger, ausgelöst werde.3

Ebenso ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Begriff der „schwangeren Arbeitnehmerin“ weit auszulegen, weshalb die Anforderungen an eine Mitteilung der Schwangerschaft nicht besonders hoch sind.4

Das LArbG Berlin-Brandenburg hat sodann die E-Mail der Klägerin vom 14.12.2016 einer Auslegung unterzogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten eine vermutete Schwangerschaft angezeigt hat. Aus diesem Grund lief die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts nicht nach § 4 Satz 1 KSchG mit dem Tag des vom Arbeitsgericht angenommenen Zugangs der Kündigung. Vielmehr war nach § 4 Satz 4 KSchG die Anrufung des Arbeitsgerichts auch nach Ablauf von drei Wochen noch rechtzeitig. § 4 Satz 4 KSchG besagt nämlich: „Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.“5

Da die Beklagte die Kündigung ohne behördliche Zustimmung ausgesprochen hatte, war die Kündigung gemäß dem damaligen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unwirksam und der Kündigungsschutzklage daher zu entsprechen.

Fußnoten

1) LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.03.2018 – 10 Sa 1509/17.
2) BAG, Urt. v. 15.11.1990 – 2 AZR 270/90.
3) BAG, Urt. v. 06.06.1974 – 2 AZR 278/73 – juris.
4) EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 zur Richtlinie 92/85/EWG – Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz.
5) § 4 KSchG in der Fassung vom 24.12.2003