Wie lange kann ein Arbeitnehmer, der noch kein Zeugnis vom Arbeitgeber erhalten hat, seinen Zeugnisanspruch geltend machen? Enthält der diesbezügliche Arbeits- oder Tarifvertrag hierzu eine Ausschlussfrist, ist die Frage schnell beantwortet. Kann ein Arbeitnehmer andernfalls aber wirklich bis an die Grenze der Verjährung seinen Zeugnisanspruch durchsetzen?
Gerade im Bereich des Zeugnisrechts spielt der Gesichtspunkt der Verwirkung eine große Rolle. Die Verwirkung eines Anspruchs setzt voraus, dass der Berechtigte seinen Anspruch über längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er es hätte tun können (Zeitmoment); ferner, dass der Berechtigte damit den Eindruck erweckt hat, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, weshalb sich die Gegenseite darauf einstellen durfte, zukünftig nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Geht man jedoch bei einem Arbeitszeugnis davon aus, dass sein Zweck darin liegt, dem betroffenen Arbeitnehmer im Arbeitsleben schnellstmöglich nach Beendigung seines alten Arbeitsverhältnisses zu einem neuen Beschäftigungsverhältnis zu verhelfen, spielt das Zeitmoment eine große Rolle. Daher ist gerade im Bereich des Zeugnisrechts das Zeitmoment recht schnell erfüllt. Die Rechtsprechung bewegt sich hier in Zeiträumen von fünf1 bis längstens 15 Monaten2, die dem Arbeitnehmer verbleiben, um sein Zeugnis bzw. dessen Korrektur geltend zu machen.
Dennoch hat das LArbG Stuttgart3 in einer aktuellen Entscheidung entschieden, dass eine Klage auf Zeugniskorrektur auch nach über zwei Jahren noch nicht zur Verwirkung des Zeugnisanspruchs führt. Was war geschehen? Nachdem der Arbeitgeber nach einigen unschönen Kündigungsschutzverfahren, in denen er unterlag, letztlich aufgrund der Eigenkündigung des Klägers diesem ein Arbeitszeugnis erteilen sollte, wollte der Arbeitgeber die Gelegenheit wohl offensichtlich nochmals nutzen und erteilte dem Kläger ein Zeugnis, das von dem Landesarbeitsgericht schlicht als „ungenügend“ bezeichnet wurde. Auch konnte das Landesarbeitsgericht den Vorwurf der Schädigungsabsicht des Beklagten nicht von der Hand weisen. Auszüge aus dem Zeugnis belegen dies:
„Herr … erbrachte während seiner Tätigkeit als Produkt & Sales Engineer für unser Unternehmen eine insgesamt schwache Leistung. Zwar zeigte er Im Großen und Ganzen Interesse an seinen Aufgaben. Es war ihm indes nicht möglich, diese zu unserer Zufriedenheit zu erfüllen. Herr … war dem mit seinem Tätigkeitsbereich verbundenen Arbeitsumfang sowie den Herausforderungen der einzelnen Aufgaben nicht gewachsen. Insbesondere in Phasen erhöhten Arbeitsanfalls zeigte sich, dass Herr … nicht belastbar war.
Aufgrund seiner nur geringen Leistungsfähigkeit und seines Verhaltens Im Rahmen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit konnte Herr … sich nicht in die Betriebsgemeinschaft einfügen. Sein Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten war daher von Spannungen geprägt.
Die vormals gezeigten Leistungen von Herrn … wurden durch seinen leichtfertigen Umgang mit vertraulichen Informationen und seine diesbezüglich bis heute fehlende Einsichtsfähigkeit für unser Unternehmen vollständig entwertet.“
Nachdem der Kläger sich zunächst sehr über das Zeugnis echauffiert, mit Anwaltsschreiben das Zeugnis als „völlig inakzeptabel“ und „unterirdisch“ bezeichnet hatte und dem Arbeitgeber zudem vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorwarf, erhob er dennoch erst zwei Jahre später Klage auf Berichtigung seines Arbeitszeugnisses. Das damit zunächst befasste Arbeitsgericht wies die Klage wegen Verwirkung des Zeugnisanspruchs ab. Das LArbG Stuttgart sah hingegen keine Verwirkung. Es bejahte zwar das Zeitmoment, verneinte jedoch das Umstandsmoment. Denn die Beklagte habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seinen Zeugnisberichtigungsanspruch fallen lassen würde. Der Kläger habe das Zeugnis in der Vergangenheit mit harschen Worten zurückgewiesen. Die Beklagte habe daher kein Vertrauen aufbauen können, dass der Kläger von der Weiterverfolgung seiner Ansprüche Abstand nehmen würde. Hinzu kam, dass das Landesarbeitsgerichts ebenfalls den Vorwurf der Schädigungsabsicht nicht von der Hand weisen konnte. Die Beklagte habe sich – so das Gericht – noch nicht einmal die Mühe gemacht, das Zeugnis schriftsätzlich zu verteidigen. Es gab letztlich keinen Anlass für die Beklagte zu glauben, dass der Kläger an seinem Anspruch nicht festhalten werde. Auch die vom Kläger ausgesprochene Eigenkündigung und die damit einhergehende Vermutung der Beklagten, dass er eine Anschlussbeschäftigung gefunden habe und daher das Zeugnis nicht mehr benötige, reichten nicht für ein hierdurch begründetes Vertrauen aus.
Man kann dem Kläger hier nur sagen: Glück gehabt! Das Landesarbeitsgericht hat es mit einer guten Begründung „menscheln“ lassen. Es hätte es sich auch leicht machen und sagen können, dass jemand, der so lange mit dem Berichtigungsanspruch zuwartet, den Eindruck erweckt habe, kein Interesse mehr an einer Berichtigung zu haben. Deshalb sollte dieses Urteil all diejenigen Arbeitnehmer, die noch ein Zeugnis oder dessen Korrektur beanspruchen, nicht allzu sehr in Sicherheit wiegen. Die Rechtsprechung ist hinsichtlich des Zeitmoments ziemlich rigide und Arbeitgeber können im Regelfall nach fünfmonatiger – je nach Gerichtsstand längerer – Untätigkeit des Arbeitnehmers davon ausgehen, er werde die Zeugnisangelegenheit nicht weiter erfolgen.