Berufsausbildung ist wichtig, und jeder sollte – soweit individuell möglich – das Seinige dazu tun. Doch nicht immer gelingt eine treffsichere Wahl des Auszubildenden oder – umgekehrt betrachtet – nicht immer hat sich der Auszubildende für den für ihn passenden Ausbildungsberuf oder -betrieb entschieden. Wie dem auch sei, zur Aufklärung solcher Fehlentscheidungen gibt es schließlich eine Probezeit, die gemäß § 20 BBiG mindestens einen und höchstens vier Monate betragen darf. Während der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden (§ 22 Abs. 1 BBiG). Man sollte meinen, dass sich innerhalb von vier Monaten von beiden Seiten klären ließe, ob Ausbildungsbetrieb und Auszubildender „zusammenpassen“. Erfahrungsgemäß treten die meisten Probleme jedoch erst nach der Probezeit auf, möglicherweise dann, wenn der Auszubildende mit anspruchsvorderen Tätigkeiten betraut werden kann, oder weil dem Ausbildungsverhältnis zuwiderlaufende Verhaltensweisen von Ausbilder oder Auszubildendem während der Probezeit einfach unterschätzt wurden.

Wie dem auch sei: Nach Ablauf der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur noch aus einem wichtigen Grund, ohne Einhalten einer Kündigungsfrist (von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen), und nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntniserlangung von der dem wichtigen Grund zugrunde liegenden Tatsachen sowie unter schriftlicher Angabe der Kündigungsgründe gekündigt werden (§ 22 Abs. 2 bis 4 BBiG).

Angesichts dieser strengen Vorgaben gibt es für Ausbilder eine Vielzahl an Möglichkeiten, Fehler beim Ausspruch einer Kündigung nach Ablauf der Probezeit zu machen. Die Folge ist, dass ein ungeeigneter oder – sagen wir es offen – missliebiger Auszubildender möglicherweise in den Betrieb zurückkehrt, und dort noch mehrere Jahre (einschließlich eventueller Wiederholungsprüfung) verbleibt. Gerade in kleineren Betrieben kann dies den Betriebsfrieden erheblich belasten.

So oder so ähnlich ging es vermutlich den Kollegen einer Anwaltskanzlei, bei der die 1983 in Kasachstan geborene Klägerin zum 01.08.2014 eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten aufnahm. Bei ihrer Einstellung verfügte die Klägerin bereits über eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung zur Fachkraft für Systemgastronomie. Im ersten Ausbildungsjahr war die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagten an 77 Tagen erkrankt. In der Berufsschule fehlte sie an 18 Tagen. Am 14.07.2015 boten die Beklagten der Klägerin schriftlich den Abschluss eines Aufhebungsvertrages zum 31.07.2015 an, und äußerten sinngemäß die Vermutung, dass die Klägerin durch die Ausbildung und die damit einhergehenden Anforderungen insbesondere im praktischen Bereich doch so stark belastet sei, dass dies sogar Auswirkungen auf ihre Gesundheit habe, was durch ihre massiven Fehltage belegt werde. Des Weiteren seien die Kollegen der Ansicht, dass die Klägerin den Anforderungen im praktischen Bereich, vor allem wegen der sprachlichen und grammatikalischen Schwierigkeiten, nicht gewachsen sei und sich hier nur quäle. Die Klägerin lehnte das Aufhebungsangebot ab und antwortete, dass diese Aussagen sie „ganz arg“ träfen. Sie habe keine Chance oder überhaupt unterstützende Maßnahmen erhalten. Es sei bedauerlich, dass „Sie keinen Beitrag für die gesellschaftliche Integration sprachlich eingeschränkter Personen, wie ich es bin, leisten möchten. In meiner jetzigen Klasse sind etwa 50 % der Auszubildenden ausländischer Herkunft und werden auch nicht für ihre Schwächen diskriminiert.“ Daraufhin kündigten die Beklagten das Ausbildungsverhältnis fristlos mit Schreiben vom einen 21.07.2015. Das Schreiben war von nur einem Rechtsanwalt unterzeichnet und hatte unter anderem folgenden Inhalt:

„Sehr geehrte Frau A.,

hiermit kündige ich den mit Ihnen abgeschlossenen Ausbildungsvertrag vom 03.07.2014 aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung.

Zur Begründung führe ich unter anderem an, dass sie das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht haben.

Des Weiteren aber haben Sie das Vertrauensverhältnis zu mir als Ihrem Ausbilder durch Ihr Schreiben, uns zugegangen am 21.07.2015, insbesondere durch Ihre Vorwürfe ich würde keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration sprachlich eingeschränkter Personen leisten und sie sogar wegen Ihrer Schwächen diskriminieren, so nachhaltig gestört, dass ich an einer Fortführung der Ausbildung nicht festhalten kann.

Verstärkt wird der Vertrauensbruch noch durch die Tatsache, dass sie obwohl ich danach gefragt habe verschwiegen haben, dass sie neben ihrer Ausbildung in der Gastronomie auch noch eine Ausbildung als Bürokauffrau begonnen, diese aber wieder abgebrochen haben.

Auf meine Frage hin hatten sie lediglich mitgeteilt seit Ende Ihrer Ausbildung in der Gastronomie, dort gearbeitet zu haben und Ihnen diese Arbeit keine Freude bereitet. Von einer weiteren Ausbildung, die sie abbrachen, haben sie nicht berichtet, mich also bewusst getäuscht. …“

 

Der Klage der Klägerin hat das Arbeitsgericht stattgegeben, die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Berufsausbildungsverhältnis wurde durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst. Die Begründung des LArbG Rheinland-Pfalz[1] arbeitet checklistenartig die klassische Vorgehensweise und die damit einhergehenden möglichen Fehler beim Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit ab und soll daher auch nachfolgend auch in Form einer Checkliste dargestellt werden:

  1. Schlichtungsausschuss: Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage ist die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Anrufung eines bestehenden Schlichtungsausschusses eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung für arbeitsgerichtliche Klagen in Ausbildungsstreitigkeiten. Dies bedeutet, dass einer Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Ausschuss vorangegangen sein muss, § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG. Wird der Schlichtungsausschuss nicht angerufen, kann dieser Mangel jedoch nach Klageeinreichung noch geheilt werden, wenn das Schlichtungsverfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG nachgeholt wird in diesem Fall wird die Klage dann nachträglich zulässig.[2] Im vorliegenden Fall hatte sich der Schlichtungsausschuss der Rechtsanwaltskammer Koblenz für unzuständig erklärt. Als Begründung gab er an, dass nach § 1 Satz 2 der Verfahrensordnung der Streit um die Rechtmäßigkeit der Auflösung des Ausbildungsverhältnisses nicht zu seinen Aufgaben gehöre. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung war damit erfüllt.
  2. Vorliegen eines wichtigen Grundes: Dieser ist nur dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann.[3]
  3. Schriftformerfordernis: Die Kündigung muss schriftlich und unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Erforderlich ist hierbei, dass der Kündigende diejenigen Tatsachen mitteilt, die für die Kündigung maßgebend sind. Es genügt nicht, dass pauschale Schlagwörter oder bloße Werturteile benannt werden. Die Folge ist, dass der Ausbildende sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf solche Gründe stützen darf, die er im Kündigungsschreiben nicht genannt hat.[4] Eine Kündigungsbegründung des Inhalts, dass die Klägerin „das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht“ habe, stellt hiernach keine ausreichende Mitteilung der Kündigungsgründe dar. Denn bei einer solchen Formulierung handelt es sich gerade um eine pauschale, sogar inhaltsleere Behauptung – so das LArbG Rheinland-Pfalz.[5]
  4. Die weiteren Vorwürfe der Ausbildenden,
    1. die Klägerin sei krankheitsbedingt mehr als ein Drittel sämtlicher Arbeitstage ferngeblieben, obwohl sie während der Krankheit in einem Gastronomiebetrieb gearbeitet habe,
    2. sie habe am 26.06.2015, einem Freitag, ohne Erlaubnis oder Information über eine Stunde vor Ende ihrer Arbeitszeit die Kanzlei verlassen,
    3. sie habe in den Tagen nach den Mitarbeitergesprächen bis zu Kündigung während ihrer Arbeitszeit hauptsächlich private Dinge erledigt,
    4. sie habe ihr Berichtsheft trotz Aufforderung nicht geführt,
    5. sie habe einfachste Ausbildungsziele nicht erreicht und Arbeitshilfen und Organisationsanweisungen nicht befolgt, man habe ihr nach ihrer Wiederkehr nach den Erkrankungen stets alle Arbeitsabläufe neu erklären müssen,

durften die Beklagten im Prozess nicht nachschieben, da sie diese Gründe im Kündigungsschreiben nicht genannt hatten. Zudem war – gerade hinsichtlich des Vorwurfs, die Klägerin habe während der Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit in keinem Gastronomiebetrieb gearbeitet – die Zweiwochenfrist des § 22 Abs. 4 BBiG nicht gewahrt worden.

  1. Krankheitsbedingte Gründe: Die von den Beklagten vorgetragenen krankheitsbedingten Gründe vermochten ebenfalls die außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen. Zum einen waren die krankheitsbedingten Fehlzeiten sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten der Ausbildung im Kündigungsschreiben nicht erwähnt. Zum anderen kann die Krankheit eines Auszubildenden dann ein wichtiger Grund sein, wenn sie langanhaltend und ein Ende im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht absehbar ist und dadurch die Verwirklichung des Ausbildungsziels unmöglich gemacht wird.[6] Bei häufigen Kurzerkrankungen hingegen scheidet auch bei einer negativen Gesundheitsprognose die fristlose Kündigung aus. Es ist dem Ausbildenden nämlich „zumutbar, dem Auszubildenden auch bei häufigen Kurzerkrankungen die Möglichkeit zu geben, innerhalb der Ausbildungszeit das Ausbildungsziel zu erreichen“.[7]
  2. Unzureichende Sprachkenntnisse: Der Kündigungsgrund, die Klägerin verfüge über keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache, ist ebenfalls nicht ausreichend. Denn die Beklagten wussten bei Einstellung der Klägerin, dass diese in Kasachstan geboren und dort bis zum Jahr 2000 die Schule besucht hat. Während der Probezeit von drei Monaten habe eine ausreichende Möglichkeit bestanden zu prüfen, ob die deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift ausreichend seien.
  3. (Meinungs-)Äußerungen von Auszubildenden: Auch das Schreiben der Klägerin vom 20.07.2015, in dem sie den Ausbildern Diskriminierung vorwirft, kann nicht Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung sein. Die Äußerungen der Klägerin fallen nämlich nach Ansicht des LArbG Rheinland-Pfalz in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Die Klägerin habe lediglich an dem Versuch der Beklagten, das Ausbildungsverhältnis zu lösen, Kritik geübt. Nicht zu berücksichtigen waren daher auch im Laufe des Verfahrens geäußerte Aussagen, die Klägerin sei in der Kanzlei der Beklagten gemobbt worden. Diese Aussage vermag die fristlose Kündigung vom 21.07.2015 nicht rückwirkend zu rechtfertigen. Ein Nachschieben von im Kündigungsschreiben nicht aufgeführten Kündigungsgründen kommt bereits aufgrund des § 22 Abs. 3 BBiG nicht in Betracht.

Es ist anzunehmen, dass die weitere Ausbildungszeit zwischen den Parteien nur mit Belastungen weitergeführt werden konnte.

Berufsausbildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse sind nicht generell gleichzusetzen, weil beide Vertragsverhältnisse unterschiedliche Pflichtenbindungen aufweisen.[8] Jedoch entspricht das Verständnis des wichtigen Grundes im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG dem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Danach ist Voraussetzung eines wichtigen Grundes, dass das Ausbildungsziel erheblich gefährdet und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar ist.[9] Weiterhin sind der Ausbildungszweck sowie das jugendliche Alter des Auszubildenden zu berücksichtigen. Nach Ansicht des LArbG Köln[10] sind die Kündigungsrelevanz vertragswidriger Verhaltensweisen eines Auszubildenden „strengere Anforderungen zu stellen als bei erwachsenen Arbeitnehmern, weil es sich bei den Auszubildenden regelmäßig um ältere Jugendliche und Heranwachsende handelt, deren geistige, charakterliche und körperliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist und es nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 BBiG[11] gerade auch zu den Aufgaben des Ausbilders gehört, den Auszubildenden charakterlich zu fördern.“

Das BAG hat bereits sehr früh klargestellt, dass eine fristlose Kündigung kurz vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses nahezu unmöglich ist.[12]

Vor diesem Hintergrund sollten sich die Vertragsparteien – auch angesichts des Umstands, dass bei der vorzeitigen Lösung des Berufsausbildungsverhältnisses nach der Probezeit der vertragstreuen Partei ein Schadensersatzanspruch gemäß § 23 BBiG entstehen kann – sorgfältig während der Probezeit prüfen und auch unangenehme Entscheidungen zeitnah treffen.

[1] LArbG Rheinland-Pfalz, Ur.l v. 02.03.2017 – 5 Sa 251/16 – juris.

[2] BAG, Urt. v. 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 juris Rn. 24.

[3] BAG, Urt. v. 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 – juris Rn. 38 m.w.N.

[4] BAG, a.a.O. juris Rn. 91 mit weiteren Nachweisen.

[5] LArbG Rheinland-Pfalz, a.a.O. juris Rn. 47.

[6] LArbG Rheinland-Pfalz, a.a.O. juris Rn. 52.

[7] LArbG Rheinland-Pfalz, a.a.O. m.w.N.

[8] BAG, Urt. v. 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 –, BAGE 151, 1-26, Rn. 37.

[9] Vgl. Schlachter in: Erfurter Kommentar § 22 BBiG Rn. 3.

[10] LArbG Köln, Urt. v. 08. 01.2003 – 7 Sa 852/02 –, juris.

[11] jetzt: § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG.

[12] BAG, Urt. v. 10.05.1973 – 2 AZR 328/72 –, juris: „Wird ein Berufsausbildungsverhältnis durch den Ausbildenden aus Gründen im Verhalten des Auszubildenden fristlos gekündigt, so ist bei der Prüfung des wichtigen Grundes nicht nur die Zweckbestimmung des Vertrages, nämlich zu einem Berufsabschluß für den Auszubildenden zu führen, sondern auch die im Zeitpunkt der Kündigung bereits zurückgelegte Ausbildungszeit im Verhältnis zur Gesamtdauer der Ausbildung zu berücksichtigen.“

 

Erschienen bei juris, AnwZert ArbR 10/2017 Anm. 1