Immer wieder kommt es vor, dass eine Partei vor Gericht vorträgt, zwar einen Briefumschlag erhalten zu haben, in diesem jedoch nicht das von der Gegenseite behauptete Schreiben vorgefunden zu haben.

Ein alltägliches Beispiel: Wer ein Arbeitsverhältnis kündigen möchte, muss im Bestreitensfall den Zugang der schriftlichen Kündigung nachweisen. Sind bei der Übergabe der Kündigung größere Entfernungen zu überwinden, geschieht die Versendung in der Regel durch ein Logistikunternehmen (zum Beispiel die Deutsche Post) oder einen Boten. Übergeben wird meist ein Briefumschlag, dessen Zugang ein sorgfältiger Absender in der Regel mittels Einlieferungsbeleg oder Zeugnis des Boten nachweisen kann. Dieser Zugangsnachweis betrifft jedoch nur den Briefumschlag. Er belegt noch nicht, dass sich in dem Umschlag auch tatsächlich ein Kündigungsschreiben gefunden hat, oder – wie im Fall des Thüringer Landesarbeitsgerichts – ein Schreiben zur Wahrung einer Ausschlussfrist zwecks Geltendmachung einer Sonderzahlung. Wie ist also zu entscheiden, wenn eine Partei behauptet, sie habe zwar einen Briefumschlag erhalten, darin habe sich jedoch nicht das besagte Schreiben befunden? Im Fall des LArbG Erfurt1 sind sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht aufgrund der informatorischen Befragung der Klägerin zu dem Schluss gelangt, dass sich – wie von der Klägerin dargetan – das Schreiben zur Geltendmachung einer Sonderzahlung in dem fraglichen Umschlag befunden hat und der Anspruch daher fristgerecht geltend gemacht wurde. Denn es war zwischen den Parteien unstreitig, dass ausweislich des Auslieferungsbelegs hinsichtlich des fraglichen Schreibens eine Mitarbeiterin der Beklagten, Frau X, die Briefsendung entgegengenommen hat. Jedoch hat die Beklagte sodann einfach nur bestritten, dass das fragliche Schreiben in dem bei ihr eingegangenen Briefumschlag enthalten gewesen sei. Dieses einfache Bestreiten reichte nach Ansicht des LArbG Erfurt im vorliegenden Fall jedoch nicht aus. Denn gemäß § 138 Abs. 2 ZPO muss sich jede Partei vollständig und wahrheitsgemäß erklären, und zwar erst recht, wenn der behauptete Vorgang nur von einer Partei wahrgenommen werden konnte. Die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau X, wäre imstande gewesen zu erklären, welchen Inhalt die Briefsendung hatte. Die Beklagte hätte daher konkret mitteilen müssen, welchen Inhalt die Briefsendung nun tatsächlich hatte. Jedoch hat sie dies auch nach erneutem Hinweis im zweiten Rechtszug nicht getan, weshalb das Landesarbeitsgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO zu der Überzeugung gelangte, dass in dem Briefumschlag tatsächlich das Geltendmachungsschreiben enthalten war. Das Landesarbeitsgericht betont, dass eine Beweisaufnahme dann nicht zwingend notwendig ist, wenn sich das Gericht eine Überzeugung aufgrund des restlichen Inhalts der mündlichen Verhandlung fest bilden kann. Dies sei hier so gewesen. „Maßstab für die Überzeugungsbildung ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet.“2 oder vereinfacht gesagt: Wer in Fällen wie dem vorliegenden hartnäckig schweigt, darf sich nicht wundern, dass das Gericht der anderen Partei glaubt.

Fußnoten

  1. LArbG Erfurt, Urt. v. 07.12.2022 – 4 Sa 123/21. ↩︎
  2. LArbG Erfurt, Urt. v. 07.12.2022 – 4 Sa 123/21 Rn. 21. ↩︎