Kann ein Mandant seinen Anwalt beauftragen, einen Anspruch, der aufgrund einer Ausschlussfrist zu verfallen droht, geltend zu machen, und vor allem: Benötigt der Anwalt diesen Zweck eine Originalvollmacht des Mandanten? Diese Frage scheint erst einmal unverfänglich. Aber es gibt den § 174 BGB, nach dem ein Schuldner die ohne Vorlage der Vollmachtsurkunde erfolgte Geltendmachung eines Anspruchs zurückweisen kann.
Das BAG1 hat diese Frage im Jahr 2002 beantwortet. § 174 BGB findet auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist keine entsprechende Anwendung. Somit ist eine Geltendmachung des Anspruchs nicht nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam, wenn die Geltendmachung mangels Vorlage einer Originalvollmacht zurückgewiesen wird. Die Geltendmachung eines Anspruchs zur Wahrung tariflicher Ausschlussfristen ist nämlich keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftliche Handlung. Geschäftsähnliche Handlungen sind auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärungen, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten. Die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung einer Ausschlussfrist ist jedoch auf die durch Tarifvertrag angeordnete Rechtsfolge gerichtet.
Das BAG sah eine analoge Anwendung des § 174 BGB daher nicht als gerechtfertigt an. Denn der Schuldner soll sich aufgrund der Ausschlussfristen darauf verlassen können, dass nach Ablauf der Ausschlussfrist gegen ihn keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden. Macht daher ein bevollmächtigter Vertreter, der keine Vollmachtsurkunde vorlegt, den Anspruch schriftlich geltend, wird dennoch der Zweck der Ausschlussfristen gewahrt. Der Schuldner kann sich nämlich in diesem Fall nicht mehr darauf verlassen, dass nach Ablauf der Ausschlussfrist gegen ihn keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden. Anders als beispielsweise bei einer Kündigung hat der Empfänger einer schriftlichen Geltendmachung kein schützenswertes Interesse, unverzüglich klare Verhältnisse zu schaffen. Eine analoge Anwendung des § 174 BGB ist daher nicht geboten, so das BAG.
Allerdings weist das BAG darauf hin, dass die Geltendmachung des Anspruchs durch einen bevollmächtigten Vertreter erfolgen muss. Im Zweifelsfall hat somit der Gläubiger die Bevollmächtigung des Vertreters zur Zeit der Geltendmachung des Anspruchs darzulegen und ggf. zu beweisen. Eine Genehmigung nach § 180 Satz 2 BGB ist hingegen nicht möglich.
- BAG, Urt. v. 14.08.2002 – 5 AZR 341/01 – BAGE 102, 161-165.
AnwZert ArbR 14/2022 Anm. 1