Erkrankungen und Grippewellen stellen nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber vor immer neue Herausforderungen. Das krankheitsbedingte Fehlen von arbeitsunfähigen Arbeitnehmern muss vielerorts von Kollegen abgefangen werden und gerade kleinere Arbeitgeber wissen bisweilen nicht, wie sie fristgerecht alle Aufträge abarbeiten sollen. Hinzu kommt die nicht enden wollende Welle von Arztbesuchen, vorbeugend oder nachbehandelnd, die ebenfalls Lücken in den Arbeitstag reißt. Viele Arbeitnehmer oder Arbeitgeber stellen sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Arbeitgeber eigentlich den Lohn fortzahlen muss für die Zeit, während der ein Arbeitnehmer seinem Arbeitsplatz fernbleibt, um einen Arzttermin wahrzunehmen.

Das LArbG Hannover1 hat hierzu in einer aktuellen Entscheidung festgestellt, dass ein Arztbesuch grundsätzlich nicht bereits dann notwendig ist, wenn der behandelnde Arzt einen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zur Behandlung oder Untersuchung in seine Praxis einbestellt. Der Arbeitnehmer müsse vielmehr versuchen, die Arbeitsversäumnis möglichst zu vermeiden. Hält der Arzt außerhalb der Arbeitszeit Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen.

Hierbei liege bei einem Arztbesuch ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis dann vor, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Demzufolge hat das LArbG Hannover den MTV Groß- und Außenhandel Niedersachsen dahin gehend ausgelegt, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis i.S.v. § 14 Abs. 3 MTV nicht ausgeschlossen ist.

Das LArbG Hannover sprach dem klagenden Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlung für 1,5 Stunden verlangte, die er für einen Arztbesuch aufgewendet hat, den Lohn für diese Zeit zu. Denn der Kläger sei für diesen Zeitraum unverschuldet an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert gewesen. Bei dem Arzttermin handelte es sich um eine Nachuntersuchung nach einer Knieoperation durch den operierenden Arzt. Dieser hatte dem Landesarbeitsgericht bestätigt, dass der letzte Sprechstundentermin montags bis donnerstags um 15:00 Uhr und freitags um 12:00 Uhr ist. Dem Arbeitnehmer war es daher nicht möglich, diesen Arzt außerhalb seiner Arbeitszeit aufzusuchen.

Bereits im Jahr 1984 hat das BAG2 entschieden, dass ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis auch bei einem Arztbesuch vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Hält hingegen der Arzt auch außerhalb der Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb seiner Arbeitszeit wahrnehmen. Erst dann, wenn sich der Arzt nicht auf den Terminwunsch des Arbeitnehmers einlässt, kommt es zu einer Pflichtenkollision.3

Nach § 616 BGB verliert der zur Dienstleistung Verpflichtete seinen Vergütungsanspruch nicht dadurch, „dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird“. Auch Arztbesuche können dem § 616 BGB unterfallen. Ist der Arbeitnehmer jedoch bei Aufsuchen des Arztes bereits arbeitsunfähig erkrankt, besteht sein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes.

Ist der Arbeitnehmer hingegen nicht arbeitsunfähig erkrankt, besteht ein Anspruch auf Vergütung für die Zeit des Arztbesuchs nur dann, wenn der Arztbesuch zum jeweiligen Zeitpunkt medizinisch notwendig war.4 Dies kann zum einen darauf beruhen, dass der Arbeitnehmer akute Beschwerden hat. Zum andern kann die zeitliche Lage des Arzttermins jedoch auch darauf beruhen, dass der Arzt ihn zu keinem anderen Termin einbestellen kann oder will. Hier kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer ihm eine ärztliche Bescheinigung vorliegt, aus der sich ergibt, dass eine Notwendigkeit des Arztbesuchs während der Arbeitszeit bestand. Viele Ärzte bieten mittlerweile Sprechstunden außerhalb der regulären Arbeitszeit an. Arbeitnehmer sind dennoch nicht gehalten, sich einen solchen Arzt zu suchen. Es gilt auch hier der Grundsatz der freien Arztwahl. Arbeitnehmer dürfen den Arzt ihres Vertrauens auch dann wählen, wenn er nur Sprechstunden während der Arbeitszeit anbietet.5

Arbeitnehmer sollten daher Arzttermine soweit möglich außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit legen, außer es ist medizinisch dringend notwendig. Auch regeln oftmals Tarif- und bisweilen auch Arbeitsverträge die Lohnfortzahlungspflicht bzw. deren Ausschluss für solche Fälle.

Fußnoten

1) LArbG Hannover, Urt. v. 08.02.2018 – 7 Sa 256/17.
2) BAG, Urt. v. 29.02.1984 – 5 AZR 92/82 Rn. 22.
3) BAG, Urt. v. 29.02.1984 – 5 AZR 92/82 Rn. 25.
4) BAG, Urt. v. 29.02.1984 – 5 AZR 92/82.
5) BAG, Urt. v. 29.02.1984 – 5 AZR 92/82.

Erschienen im: AnwZert ArbR 6/2018 Anm. 1